11.12.2022 Harro


Harro betrachtete seine dicken Kohlköpfe und nickte. Sie gediehen prächtig, seit er eine Ladung Dung auf der Erde verteilt hatte. Er wandte sich ab, verräumte die hölzerne Schubkarre und die Grabwerkzeuge in dem winzigen Schuppen und betrat sein strohgedecktes Häuschen.

Imea stand am Herd, das Kind mit einem Tuch auf die Hüfte gebunden, rührte sie im Topf über dem Feuer und summte vor sich hin. Harro umfing sie von hinten. Welch ein Glück, dass er diese beiden hatte. Er konnte es immer noch nicht fassen.

Sie lachte leise und drehte sich zu ihm um. »Probier.« Er leckte den Löffel ab. Es schmeckte würzig herb. Er nickte. »Dasch is guet.«
»Nachher gibt es mehr davon.«
»I freu mi scho drauf.« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und herzte das Kind.
In diesem Moment schwang die Tür der Hütte auf. »Harro, Harro, du musst kommen… Jovin… ist krank… er stirbt…!«
Harro fuhr herum und sah den Sprecher an. »Mael. Was is gschehe?«
»Ich weiß es nicht genau, aber er spricht wirr und fiebert hoch… wir waren schon bei den Brüdern vom Weisenstein. Der Bruder Infirmarius sagt, er wird sterben… aber das kann doch nicht sein… das darf nicht… Bitte komm und sieh nach ihm!«

Harro nickte: »Geh scho eimal vor, i komm gleich. Ihr könnet folgendes richte: I brauch Tücher. Heißes und kaltes Wasser. Und gnug Licht.«
Mael nickte: »Aber beeil dich, ich weiß nicht… wie lange er das so aushält.«
»Mach dir kei Sorge, i komm rechtzeitig, aber i muss erst noch ein paar Sachen zsammen suche.« Harro wandte sich schon ab und begann nach den nötigsten Kräutern zu schauen. Taumelwurz, Giftlattich, Adralheilglöckchen und viele andere hatte er getrocknet entweder von der Decke hängen oder schon zerrieben in Säckchen verstaut. Außerdem hatte er verschiedene Salben und fertige Tränke. Er räumte alles in eine große Kiepe. Als er glaubte, das Wichtigste beisammen zu haben, zog er die Kiepe auf den Rücken, gab Imea einen Kuss und eilte aus der Hütte. Bis zu Maels Haus war es nicht weit. In wenigen Augenblicken erreichte er dessen Kate und klopfte an die Holztür. Von innen hörte er schon Weinen und leise Stimmen.
Mael öffnete: »Da bist du ja endlich… es wird immer schlimmer.«
Harro schob sich zur Tür hinein, stellte seinen Tragekorb ab und trat an das Bett.

Jovin lag in einer Ecke auf Decken aus Wollkopfgras. Sein Gesicht glänzte schweißnass, die Augen waren offen, aber verdreht. »Nicht. Nein… Sie kommen… sie …. Holen uns… es brennt… alles brennt!« Er schrie es überlaut, zuckte, wollte aufspringen. Sein Vater hielt ihn mit Gewalt zurück.

Harro betrachtete das Kind aufmerksam. »Huschtet er?«
»Nein. Bis zum Abendessen war noch alles in Ordnung. Er hat fröhlich draußen gespielt.«
»Hat noch jemand in der Familie Symptome? Was habt ihr gegesse.«
»Kohleintopf und nein, er ist der einzige. Nun tu doch was.«
Harro seufzte. »Bevor i nit weiß, was geschehe is, kann i ihm kaum helfe.« Dann fügte er an: »Wo hat er gspielt?«
»Unten am Bach!«
Harro nickte. »Zieht ihn aus! Und i brauche viel Licht. I muss seinen Körper ansehe.«

Mael tat, wie geheißen, schließlich lag der Junge nackt auf dem Bett und Harro beugte sich mit einer Fackel über ihn. »Hab i es mir gdacht.«, brummte er, als ihm die roten Pusteln an Armen und Beinen in die Augen fielen. Jovin hatte Kontakt mit einer der giftigsten Pflanzen Eloans gehabt. Zufällig wusste Harro, dass sie weiter oben am Bach wuchs. Er schnaubte.
»Was?«
»Ach nichts. Später. Als erschtes, das Fieber muss gesenkt werde. Wir mache kalte Umschläge um die Beine und ein nasses Tuch auf die Stirn. Du muscht ihn halte, damit er liege bleibt. Und dann brauche i heißes Wasser. Wenn i Recht habe, gibt es ei Gegemittel.« Während Maels Weib die kalten Umschläge bereitete und Mael den Jungen hielt, begann Harro am Herd zu wirtschaften. In der nächsten Stunde arbeitete er konzentriert. Er ließ das Wasser kochen, wog mit einer kleinen Waage Kräuter ab und gab sie wohl dosiert und in der passenden Reihenfolge ins Wasser, ließ sich Honig reichen und gab eine gehörige Portion dazu, dann kochte er den Sud ein. Schließlich nickte er. Der Geruch, die Konsistenz stimmte. Wenn er sich täuschte, würde dieses Mittel den Jungen umbringen. Wenn er es nicht versuchte, würde der den Morgen ohnehin nicht erleben. Das jedoch behielt er für sich. Er füllte mit einer kleinen Kelle aus Holz eine Portion in eine Schale, setzte sich neben den Jungen und begann ihm von seinem Mittel einzuflößen.
Angespannt beobachtete er jede Reaktion Jovins, während Mael die kühlen Tücher zum wiederholten Male wechselte.

Ein tiefes Schnaufen folgte, die Augen schlossen sich. Der Junge lag wie tot.
»Er stirbt!« Die Mutter schrie auf und brach in Tränen aus.
»Shhht, nei, er wird gsund.«
»Wie kannst du das wissen?«
»Weil das genau das war, was i erwartet und erhofft hatte. Die Medizin wirkt!«
Harro blieb die ganze Nacht. In gleichmäßigen Abständen gab er dem Jungen einen Löffel der Honigessenz. Die Pusteln klangen ab. Und auch das Fieber sank. Am Morgen schlug der Junge die Augen auf. Sie waren klar und er sah sich um. »Harro? Was machst du denn hier? Mutter? Vater? Ich hatte einen merkwürdigen Traum…«
Harro lachte. »Das glaub i dir, Junge. Geh nit wieder obe an den Bach, dort ist es gefährlich«
Der Junge nickte.
Zu Mael und seiner Frau sagte Harro »Er wird wieder ganz gesund. Braucht aber noch ein, zwei Tag Ruhe, auch wenn er sich gut fühlt.« Harro erhob sich, nahm die Holzkelle, die Schale und den Löffel und warf alles ins Feuer. »Was tust du? Die gute Schale.« Mael bückte sich, um die Sachen wieder aus dem Feuer zu fischen. »Nit. Dies hier muss verbrenne.« Harros Stimme wurde hart. »Jeder, der ansonste gsund ist, aber davon isst, ist des Todes.«

Mael starrte ihn mit offenem Mund an. Aber er ließ die Gegenstände nun verbrennen. Harro nickte, wuschelte Jovin noch einmal über den Kopf, verließ die Familie und kehrte zu Imea zurück.