Da war er nun also. Mitten im Gebirge. Felsen türmten sich, Bäume gab es schon länger nicht mehr. Selbst jetzt im Frühjahr lag Schnee. Thomas staunte über die bizarren Formen, über die Tiere, die sie hin und wieder zu Gesicht bekamen: Bergziegen. Mit ihren großen gebogenen Hörnern. Sie zogen in kleinen oder größeren Gruppen über steile Berghänge. Adralgische Adler zogen ihre großen Kreise am Himmel. Ihr Schrei ging einem durch und durch. Berglöwen sahen sie zum Glück nur selten, die Gefahr für den Trupp war dennoch nicht unerheblich. Und Thomas staunte über die unterschiedliche Beschaffenheit der Steinwelt und die Farben. Von Weiß über Grau zu Grün. Manche Berge schimmerten Orange bis Rot im Sonnenlicht und wieder andere hatten ein bläuliches Grau und verschwammen mit dem Himmel. Das war alles so neu, so anders. Sein Leben war mit einem Mal ein großartiges Abenteuer. So weit war er noch nie von zu Hause entfernt gewesen. Bisher war der Weg zwischen der Burg Hauptstein und Eloans Königsburg die weiteste Entfernung gewesen, die er zurückgelegt hatte und nun würde er einen ganzen Sommer in einem fremden Land verbringen. Er setzte sich aufrechter im Sattel. Er war der Knappe von Ansgar von Briant und der war der Freund des Königs und führte diesen Trupp an. Die Verantwortung für Liriene von Adralgar lastete auf seinen Schultern. Und damit auch ein bisschen auf seinen, fand Thomas. Jedenfalls hatte er sich vorgenommen, gut für Ansgar und auch für Liriene zu sorgen. Immerhin war sie die Königin Eloans.
Bei der abendlichen Rast baute er das Lager mit den Anderen möglichst schnell auf. Planen aus gewachstem Tuch wurden gespannt. Decken verteilt. Pferde abgesattelt. Er schürte ein Feuer aus dem Holz, dass sie aus dem großen Wald mit herauf gebracht hatten, denn hier oben gab es kein Feuerholz. Und er briet Fleisch und Brot über den Flammen. Erst wenn alle zufrieden in ihren Decken da saßen und Geschichten erzählt wurden, kam auch Thomas zu Ruhe. Am nächsten Morgen ging es dann schon früh weiter. Zelte abrechen, Pferde beladen. Feuer löschen. Es waren anstrengende, aber auch erfüllte Tage.
Bei einem der Lager nahm er sich Zeit, ein wenig herum zu streunen. Hier hatten sie früher gerastet als sonst üblich und so war die Sonne noch nicht untergegangen, als das Lager schon stand. Seine Hand streifte über Felsen. Er bückte sich, hob Steine auf. Ging weiter, staunte über den Ausblick über Berggipfel, die sich vor ihm ausbreiteten wie ein stürmisches, gefrorenes Meer. Plötzlich stach ein blaues Blinken in sein Auge. Er blinzelte.
Neugierig trat er näher. Das Blitzen blieb, veränderte sich. Er bückte sich. Zwischen normalen weißen Steinen lag ein blauer Kiesel, der das Sonnenlicht direkt in sein Auge reflektiert hatte, als wolle er gefunden werden. Thomas hob ihn auf und strich behutsam darüber. Er fühlte sich rau und weich zugleich an. Weiße Linien zogen sich durchs Blau, wie Flüsse durchs Land. Der Stein fühlte sich warm an, gar nicht kühl oder gar kalt. Thomas drehte ihn in der Hand, fühlte die raue Oberfläche. Es war als flüstere der Stein ihm zu. Nimm mich mit. Schnell entschlossen ließ er das Kleinod in seiner Gürteltasche verschwinden.
Von da an trug er ihn bei sich. Beim Ritt am nächsten Tag hatte er ihn immer in der Hand. Er betrachtete die Form. Ließ das Blau blitzen, fuhr die weißen Linien nach. Der Stein schien mit ihm zu reden. Sein Bruder hätte sicher spöttisch gelacht. ›Steine reden nicht.‹ Aber als Thomas Adralgars Hauptstadt erreichte, wusste er, dass der Stein wollte, dass er ihn bearbeitete. Er lieh sich vom Schmied zwei Feilen und vom Schuster eine Ahle. Jede freie Minute saß er in der milden Sommersonne Adralgars und arbeitete an dem Stein. Er feilte, bohrte, schabte und tatsächlich konnte er dem Stein eine Form entlocken, die anscheinend längst in ihm verborgen gelegen hatte. Es wurde ein Pferdchen. Ein kleines, blaues Pferd. Als er fertig war, polierte er den Stein so glatt wie möglich, kratzte Augen, Mähne und Schweifhaare ein und polierte erneut. Zum Schluss bohrte er ein Loch in den Rücken des Pferdchens, dort fädelte er einen dünnen Lederriemen hindurch. Lächelnd betrachtete er die Kette. Sein blaues Pferdchen.
Ein adralgischer Ritter trat von hinten an ihn heran. »Besser können das unsere Goldschmiede und Steinkünstler auch nicht. Vielleicht solltest du zu einem von ihnen in die Lehre gehen«
Thomas strahlte vor Stolz. »Danke. Aber ich werde Ritter Eloans! Wie schon mein Bruder Henk von Hauptstein«
»Natürlich!« Der Ritter nickte und lief weiter.
Thomas verstaute das Pferdchen in seiner Gürteltasche. Er wusste schon, für wen er es gemacht hatte. Wenn er heimkehrte, würde er es der Mutter zum Heiligen Christfest schenken und ihre staunenden Augen wären sein Lohn.
so schööön!
Danke für deine Geschichten
Frau Martina,
vielen lieben Dank für den so tollen Adventskalender aus Ansgars Welt, jetzt habe ich noch viel mehr Lust auf das Buch, die Bücher über Ansgar. Das hat sehr großen Spaß gemacht, diese Geschichten zu lesen und mich tiefer in Ansgars Welt gebracht.