14.12.2022 Bero


Ich lag unten und konnte mich nicht mehr rühren. Auf Armen und Beinen kniete je ein größerer Junge und an meiner Kehle lag der scharfe Dolch meines Vaters. Ich wagte es nicht, zu atmen.
»Verschwinde, hörst du? Wir wollen dich hier nicht mehr sehen! Du bist nur eine Last für Vater. Er hat schon genug mit uns zu tun.«
Ich wagte nicht mal zu nicken und presste ein tonloses »Ja«, hervor.
»Gut. Wenn man dich heute Abend noch auf dem Gebiet von Hartheim findet, bist du tot, das schwöre ich.«
»Bitte, ich…«
»Na meinetwegen… wir satteln dir ein Pferd…. Sonst schafft der Kleine das nicht. Und nun vorwärts!«
Der Dolch verschwand, meine Arme und Beine wurden frei gegeben. Jemand riss mich auf hoch. Wankend stand ich da und fuhr mir mit der Hand an die Kehle. Es war noch alles dran, auch wenn es sich anders anfühlte.
Wenig später saß ich auf einem kleinen, aber ausdauernden Pferdchen. Man hatte mir gnädigerweise einen Beutel mit Proviant für zwei Tage mitgegeben und klopfte dem Tier nun auf die Kruppe. Es setzte sich in Bewegung.
»Und vergiss nicht. Wenn du zurück kommst, bist du… krk.«
Ich schluckte schwer und antwortete nicht. Stattdessen trieb ich das Tier an. Nichts wie weg hier.
Es gab zwei Wege. Den ins Gebirge und den in die Ebene von Keon. Im Gebirge zu überleben, das wusste ich schon war beinahe unmöglich. Allein und ohne Begleitung und gar als Kind. Es gab Löwen und Bären und Steinschläge. Und ich hatte nur ein Messer, nicht mal einen Dolch, ein Schwert oder gar Pfeil und Bogen. Also blieb nur der Weg in die Ebenen von Keon. Da wimmelte es vor wilden Horden, aber wenn ich Glück hatte, nahm mich einer dieser Trupps auf. Sie waren nicht alle ohne Herz. Dennoch hatte ich einen dicken Klumpen im Bauch. Meine Hände zitterten. Wenn Vater suchte und mich fand. Wenn er mich zurück brachte… Ich wollte nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht durch meine Brüder. Und eigentlich gar nicht.
Also verbarg ich mich möglichst tief im Wald von Keon. Als mein Proviant aufgebraucht war, ernährte ich mich von Beeren und Wurzeln, die ich kannte.
Tatsächlich fand mich niemand. Aber statt erleichtert zu sein, fragte ich mich, ob Vater überhaupt gesucht hatte. Ob er mich vermisste. Einsamkeit war nun mein Begleiter. Bis zu dem Tag, an dem ich Walter begegnete.
Ich hatte mir ein Versteck in der Nähe eines Baches gesucht. Denn Wasser war das Wichtigste. Außerdem wuchsen hier auch Beeren und man konnte, wenn man geschickt war, Fische mit der Hand fangen. Manchmal gelang mir das. Auch jetzt stand ich bis zum Knöchel im Wasser, leicht vorgebeugt, bereit mir eine der flinken Forellen zu schnappen. Im nächsten Moment traf mich etwas von hinten an der Schulter und ich stürzte ins Wasser. Ehe ich prustend hochkommen konnte, war jemand über mir und hielt mich unten. Ich kämpfte darum, den Kopf über Wasser zu halten und ruderte mit den Armen. Doch mein für mich unsichtbarer Gegner war stärker. Er hielt mich effektiv unter der Wasseroberfläche. Die Luft wurde knapp. Meine Brust schmerzte. Im Kopf begann es zu summen. Der Druck nahm zu. Meine Bewegungen wurden fahriger. ABer ich gab nicht nach. Ich wollte leben. Im letzten Moment ließ er los und ich kam hoch. Heftig keuchend sog ich die Luft ein und fuhr herum. Hinter mir stand ein Halbwüchsiger in Kriegerkleidung. Leder und Felle, schwarz gegerbt, hohe Stiefel. Am Gürtel Dolch und Schwert und auf dem Rücken einen Reiterbogen. Seine schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht. Besonders auffallend waren die ebenfalls schwarzen Augen, die einen stechenden Glanz zeigten. Er musterte mich abschätzig und brumnmte:
»Du bist ganz schön stark, Kleiner. Wie alt bist du?«
»Fünf, vielleicht schon sechs.« Ich reckte mich ein bisschen.
Leises Lachen von dem Kerl, der sicher mehr als doppelt so alt war wie ich.
»Soso, schon sechs… bist du alleine hier?«
Ich schob das Kinn trotzig vor: »Ja. Und zwar schon länger.«
»Sorgt sich dein Vater nicht um dich?«
»Nein. Sie sind alle froh, mich los zu sein!«
Gehobene Augenbrauen.
»Bist du sicher?«
Ich nickte.
»Wenn du willst, kannst du mich begleiten.« Der Kerl winkte ans Ufer. Dort hielt ein Trupp Krieger, wie ich erst jetzt bemerkte. Dann fuhr er fort: »Übrigens. Ich bin Walter. Walter von Keon. Und wie heißt du? Und wehe du flunkerst mich an…. Dann ertränke ich dich doch noch.«
»Ich bin Bero.«
»Bero und sonst nichts?«
»Bero von Hartheim.«