7.12.2022 Dariel


Dariel saß auf der Mauer, die unentbehrliche Laute im Arm und betrachtete das rege Treiben im Burghof. Händler hielten ihre Waren feil, edle Damen flanierten, Ritter zeigten sich in voller Rüstung. Und dazwischen stolzierten die Falkner mit ihren prächtigen Raubvögeln. Falkentage. Sein Bruder, der König von Ramaria ließ sich auch immer was Neues einfallen, um einen Grund zum Feiern zu finden. Eigentlich sollte es Dariel Recht sein. Er liebte schließlich das bunte Treiben, Musik und Tanz und hübsche Frauen. Aber zugleich fürchtete er, sein Bruder nehme sein Amt als König nicht recht Ernst. Nun gut, wäre er König, würde er es vielleicht auch nicht anders machen.
»Hey du, Schellenknecht! Spiel ein wenig auf.«
Der Zuruf riss ihn aus seinen Grübeleien. Dariel lachte. »Meinst du mich?« Er deutete erstaunt auf seine Brust.
»Ja, natürlich, siehst du sonst noch einen?«
»Och hier gibts genug Spielleute… aber wie ihr wünscht!« Dariel ließ seine Finger über die Saiten gleiten und begann zu singen. Von Hohen Herren und ihren edlen Tieren, von Damen so fein und vom Tanze am Hofe.
Es dauerte nicht lang und eine ganze Traube von Menschen hatte sich um ihn geschart und lauschte andächtig. Dariel wurde übermütig. Er kletterte ein Stückchen höher und balancierte auf der Mauer, während er weiter sang. Er begann Stehgreifzudichten, wie er es so gerne tat und verzauberte die Damen. Deren Blicke hingen an seinen Lippen. Je mehr ihm lauschten, desto waghalsiger wurde er. Schließlich gab er ein Liedchen zum Besten, dass er schon vor längerem aus lauter Übermut erfunden hatte. Es handelte vom Verwalter des Königs, dem Herren von Kaltenbronn. Dariel konnte die fette Assel nicht leiden. Und so kam der hohe Herr nicht gut weg in Dariels Liedchen. Er hatte noch nicht einmal geendet, als Soldaten sich einen Weg durch die Menge bahnten und ihn von der Mauer pflückten.

»Halt, so war das doch gar nicht gemeint. Das war nur… ein Scherz.«
»Mit dem Herrn von Kaltenbronn scherzt man nicht.«
Man schaffte ihn direkt in die Kerker hinab. Niemand gab ihm Gelegenheit etwas zu erklären, sich zu entschuldigen.
Dariel schluckte und starrte auf die eiserne Schelle, die man um sein Handgelenk gelegt hatte. Er sank auf die faulige, stinkende Einstreu. Seine Laute gab einen misstönenden, ja kläglichen Laut von sich. Dariel zog die Beine an und starrte in die Dunkelheit um sich. Die Zeit verging so schleppend, als hätte man ihn vor einen Pflug gespannt.
Es musste längst Nacht sein. Eine Tür schlug und jemand rasselte mit einem Schlüsselbund.
Kurz darauf schwang seine Zellentür auf. Im Schein einer Fackel und in einen alten Mantel gewickelt stand eine Gestalt vor ihm, die ihm vage bekannt vorkam. Erst als diese die Kapuze zurückschlug, erkannte Dariel seinen Bruder.
»Du?«
»Ja, ich. Was machst du für Sachen, Dariel!«
»Ich habe nur gesungen…. Kann ich ahnen,… dieser Kaltenbronn… der ist ja wahnsinnig:«
»Ich glaube eher du bist wahnsinnig. Wie kannst du ihn der Alchemie verdächtigen?«
»Das war doch nur ein Scherz, weil er immer so … na er guckt so verschlagen wie ein Hexenmeister…!«
»Halt dein vorlautes Maul, Dariel. Ich hatte schon alle Hände voll zu tun, dass er dich nicht gleich aufgespießt, gehängt oder gevierteilt hat.«
»Hey, ich bin dein Bruder…«
»Halbbruder!«
»Ja schon, trotzdem. Das würdest du doch nie zulassen und wie kann er überhaupt…!«
»Er hat es als Angriff auf seine Integrität und seine Stellung verstanden… und verdammt, ich muss ihm Recht geben. Und wenn du erst einmal öffentlich so aufgetreten bist…. Wie soll ich da deine Taten vertuschen.«
»Taten? Es waren nur Worte.«
»Worte entscheiden über Leben und Tod, Dariel. Das müsstest du am Besten wissen.«
Dariel senkte den Kopf und seufzte.
»Das war nicht nur dreist und dumm, Dariel, das war selbstmörderisch.«, fuhr der König fort.
Dariel biss sich auf die Lippe. Die Vorwürfe seines Bruders trafen. »Und nun?« murmelte er kleinlaut.
»Nun solltest du dich schleunigst aus dem Staub machen. Am hinteren Tor warten zwei Pferde und dein Knappe auf dich. Und lass dich hier nicht so bald wieder blicken.«